Von der Dystopie zur Realität: Wie The Handmaid’s Tale, der Trade Wife Trend und Esoterik das Patriarchat modernisieren
Margaret Atwood hat mit The Handmaid’s Tale keine Science-Fiction geschrieben. Sie hat einfach genau hingeschaut was patriarchale, autoritäre Systeme mit Frauen machen und das dann in eine düstere Zukunft projiziert. Und jetzt? Jetzt sitzen wir da scrollen durch TikTok und sehen zu wie genau diese Mechanismen in Echtzeit wieder ausgepackt werden – nur mit besserem Instagram Filter.
Denn während in den USA die Abtreibungsrechte zerlegt werden und Europa sich fleißig in dieselbe Richtung bewegt wird auf Social Media ein neues Ideal gefeiert: Die „Trade Wife“ – eine freiwillige Rückkehr ins Patriarchat mit einem Hauch von Vintage-Ästhetik.
Willkommen in Gilead – Abtreibungsverbote, Frauen als Eigentum und der Kampf um weibliche Körper
Als der Supreme Court 2022 Roe v. Wade gekippt hat war das kein Rückschritt sondern ein kontrollierter Absturz in die Vergangenheit. Plötzlich entscheiden alte, weiße Männer darüber dass Frauen gefälligst auszutragen haben – egal ob sie vergewaltigt wurden, ob die Schwangerschaft sie umbringt oder ob sie einfach selbst entscheiden wollen.
Es gibt bereits Fälle in denen Frauen sterben weil Ärzt:innen ihnen aus Angst vor juristischen Konsequenzen eine medizinisch notwendige Abtreibung verweigern. Und es geht weiter: Staaten wie Texas oder Idaho kriminalisieren nicht nur Ärzt:innen sondern auch Freund:innen oder Angehörige die einer Schwangeren helfen eine Klinik zu finden. Aiding and abetting abortion – klingt nach einem Plot-Twist aus The Handmaid’s Tale ist aber Gesetz.
Und als ob das nicht reicht gibt es parallel dazu eine popkulturelle Verklärung der alten Rollenbilder.
Trade Wife: Wie das Patriarchat sich ein hübsches Makeover verpasst
In Gilead gibt es Frauen die Widerstand leisten. Aber es gibt auch die Serenas die perfekt in das System passen es sogar mit aufbauen. Und genau da setzen Trends wie Trade Wife an: Frauen die freiwillig (!) in traditionelle Rollen schlüpfen und sich dabei selbst als “empowered” verkaufen.
Was steckt dahinter?
• Rosa verpackter Sexismus: Die Trade Wife-Bewegung propagiert das Bild der „glücklichen Hausfrau“ die für ihren Mann kocht, ihm gehorcht und sich für den Haushalt aufopfert. Feminismus? Nein danke. Lieber zurück zu den „wahren Werten“.
• Männliche Kontrolle als „Liebe“: Die Idee dahinter ist dass Frauen besser dran sind wenn sie einem starken Mann dienen – er beschützt, versorgt und entscheidet. Sie soll sich ihm nur hingeben dann wird alles gut. Klingt nett ist aber exakt die Denkweise die Frauen in The Handmaid’s Tale in Ketten legt.
• Social-Media-Ästhetik als Köder: Hübsche Frauen in nostalgischen Kleidern backen Brot, pflegen den Garten und schwärmen von der „natürlichen Ordnung der Dinge“. Die perfekte Tarnung um antifeministische Ideologie als Lifestyle zu verkaufen.
Und als ob das nicht reicht kommt jetzt auch noch Esoterik ins Spiel.
Feminine Energie, göttliche Weiblichkeit – oder einfach nur ein weiterer Trick Frauen kleinzuhalten
Neben der klassischen Trad Wife-Schiene gibt es eine zweite Strömung die sich in der gleichen Ecke bewegt: Frauen die sich als „göttlich weiblich“ inszenieren und glauben dass die Lösung aller Probleme in der Hingabe an „ihre wahre Natur“ liegt.
• „Feminine und maskuline Energie müssen im Gleichgewicht sein.“ Übersetzung: Frauen sollen sich passiv und unterwürfig verhalten damit Männer führen können.
• „Deine Bestimmung als Frau ist es dich hinzugeben.“ Übersetzung: Sei ein gehorsames Hausmütterchen sonst bist du unweiblich.
• „Männliche Energie ist aktiv, weibliche Energie ist empfangend.“ Übersetzung: Männer bestimmen, Frauen folgen.
Das ist keine neue Erkenntnis sondern einfach nur der gleiche alte Sexismus diesmal in spirituelle Vibes verpackt.
Der Trick ist perfide: Anstatt Frauen direkt zu sagen dass sie sich unterordnen sollen wird es ihnen als „natürlich“ verkauft. Als kosmisches Gesetz. Als etwas das nicht nur sinnvoll sondern auch spirituell erfüllend sein soll.
Und wenn man genau hinschaut ist das exakt das System aus The Handmaid’s Tale. Die Frauen in Gilead glauben dass ihr Platz gottgegeben ist. Dass sie für ihre Rolle geschaffen wurden. Dass Widerstand zwecklos ist weil es das Universum (oder Gott) so will.
Ob christlicher Fundamentalismus oder Esoterik – die Botschaft ist die gleiche: Frauen sollen sich unterordnen weil es „natürlich“ sei.
Christlicher Fundamentalismus und New Age Esoterik – zwei Seiten der gleichen patriarchalen Medaille
Ob Bibel oder Mondkalender – das Patriarchat findet immer einen Weg sich spirituell zu legitimieren. Während in den USA der religiöse Backlash gegen Frauenrechte in vollem Gange ist kommt in der Wellness-Esoterik eine weichgespülte aber nicht weniger gefährliche Variante dazu.
• In Gilead heißt es: Frauen gehören ins Haus weil die Bibel es so sagt.
• In der Esoterik Szene heißt es: Frauen gehören ins Haus weil ihre „feminine Energie“ dort besser fließt.
In beiden Fällen ist das Ergebnis das gleiche: Frauen sollen sich fügen. Frauen sollen ihre Ambitionen runterschrauben. Frauen sollen auf keinen Fall selbst entscheiden.
Und genau deshalb sind diese Bewegungen nicht harmlos. Sie ebnen den Weg für eine Gesellschaft in der Frauenrechte langsam aber sicher abgebaut werden – erst durch Selbstinszenierung dann durch gesellschaftlichen Druck und am Ende durch Gesetze.
Europa ist nicht besser – wir sind nur noch nicht so weit eskaliert
Polen hat fast ein komplettes Abtreibungsverbot. Ungarn macht die traditionelle Familie zur Staatsdoktrin. Die AfD und andere rechts konservative Parteien hetzt gegen „Gender-Wahnsinn“ und träumen von der guten alten Zeit. Die Zeichen sind da – und wer sie ignoriert hat aus der Geschichte nichts gelernt.
Wir dürfen nicht warten bis wir in unserer eigenen Version von Gilead aufwachen.
Nolite te bastardes carborundorum – oder: Lasst euch nicht ficken!
Es ist kein Zufall dass The Handmaid’s Tale in den letzten Jahren so oft zitiert wird. Weil es nicht mehr nur ein dystopischer Roman ist sondern eine verdammt reale Warnung. Und wenn wir jetzt nicht laut sind wenn wir nicht kämpfen dann müssen wir uns irgendwann nicht mehr nur fragen wo die Parallelen zur Fiktion sind – dann stecken wir mittendrin.
Also: Organisiert euch. Wählt nicht die falschen Leute. Und hört nicht auf euch zu wehren!